Die ersten 7 Wochen auf St. Lucia   / Teil 2

 

Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?


Es gibt so manche Geschichte, über die Gefährlichkeit der Menschen hier. Am Telefon vorhin teilt mir ein erfahrener Karibiksegler seine Formel mit: Als Hellhäutiger passt du gut ins Beutebild einiger hiesiger, vorwiegend nachtaktiver Menschen mit niedriger Hemmschwelle zu Gewalt.


Hier zwei von meinen persönlichen Erfahrungen und eine aus erstem Munde.
Auf meiner Suche nach einem Bio-Farmer, bei dem ich gegen Essen und Quartier mitarbeiten könnte, wird mir Markus empfohlen. Er sei ein Rastafari. Mit Bus und zu Fuß treffe ich am Gründonnerstag bei ihm ein. Er hat mich kommen gesehen und geht auf mich zu. Sein zu Strähnen verfilztes Haar hat er am Kopf verstaut. Er hat nur eine kurze Hose an. Ich sehe seinen sehr athletischen, wunderschönen braunen Körper. Ich stelle mich vor und erkläre ihm mein Anliegen. Markus zeigt mir seine im Bau befindliche Voltaik-Anlage, seinen Fischteich, seinen Acker. Ich rede mit ihm über Beweggründe eines Biobauern: die Liebe zur Erde und zu sich selbst, Respekt vor der Schöpfung. Und über meine Beweggründe mich vorwiegend auf Segelbooten zu bewegen, dem ökologischen Fußabdruck u. a.. Wir verstehen gut, was der andere meint. Markus kennt sich aus in der Landwirtschaft, er hat in Trinidad Argrarkultur studiert. Der Platz, der Mann – ich fühle ähnlich wie vor 30 Jahren in der Südsteiermark, wie mein Freund Peter seinen Bio-Betrieb aufgebaut hat. Dann wollte ich wissen, wie er es mit der Sexualität hält. Er sieht sie nicht als Last sondern als Quelle der Freude, verstehe ich. Er hat etliche Kinder und derzeit fünf Freundinnen. Und Gleichberechtigung der Geschlechter? Ja, sehr wohl, ist Markus sicher. Das stimmt gut überein mit dem, was ich im Wikipedia gelesen habe. Er ist sichtlich einer von den Rastas, die ernstlich an der spirituellen Rückkehr zu ihren Wurzeln arbeiten und die Schönheit der Schöpfung mit allen Sinnen aufgreifen und genießen. Meiner Arbeitskraft bedarf er nicht. Er reicht mir eine geviertelte Grapefrucht und empfiehlt mich schließlich an eine andere Stelle.

„Stopping driver!“ rufe ich, absichtlich sehr kurz bevor der Bus meine Haltestelle erreicht hat. Als ich an der etwas einsamen Haltestelle den Bus verlasse, erhebt sich aus den hinteren Sitzen ein schwarzer Mann und verlässt mit mir den Bus. Er geht langsam auf die einzige Nebenstraße zu, die auch mein Heimweg ist. Das ist mir nicht geheuer. Die Menschen in diesem warmen Land gehen grundsätzlich langsam, das weiß ich. Außerdem hat der Mann einiges über 100 kg zu bewegen. Ich nehme den flotten Gang eines aus dem kühlen Norden Gekommenen an. Ich spüre, der Mann versucht, mir an den Fersen zu bleiben. Die Distanz zu ihm wird mir zu langsam größer. Ich bin sicher, er sucht meine Nähe. Laufen tut er nicht, das hätte mich gewarnt. Hier ist die Straße noch befahren. Ich hätte umkehren können. Nach der nächsten Kurve verfalle ich in Laufschritt. Wieder habe ich ihn nur wenig abgehängt. Nächste Kurve – das gleiche Bild. Die Straße wird einsamer. Nun kommt das ganz steile Stück. Ich fordere meinem Körper 98 % Vollleistung ab – und wir haben Spaß daran. Oben drehe ich mich noch mal um – tatsächlich, er ist noch immer hinter mir, ganz unten. Doch den Berg scheint er sich nicht mehr gegeben zu haben. Noch 300 Meter und ich stehe auf meiner Terrasse, drei Minuten später unter der Brause. Gewonnen! Danke, sportlicher Körper! Danke Magistra Ernährungsberaterin, mit deren Hilfe ich um 20 kg leichter geworden bin! Oder habe ich mir das mit der Verfolgung nur eingebildet? – immerhin, eine gute sportliche Übung vor ernstlichem Hintergrund!

Ein Segler aus der Marina erzählt mir was von einem Gespräch, das er mit einem der Security-Männer hatte. Dieser habe berichtet, er sei eines nachts auf der Straße gegangen. Es begegnet ihm ein weißes Paar. Als sie ihn, den schwarzen Mann sehen, ergreifen sie die Flucht. Das habe ihn, den Schwarzen, sehr getroffen, hat mein Seglerfreund berichtet. Ob das Paar in dieser Situation nicht auch vor einem weißen Mann geflohen wären, weiß niemand. Die Geschichte zeigt, wie sensibel das hier sein kann.


Tiere in Haus und Garten

Auf den karibischen Inseln gibt es viele Tiere, die es in dieser Art nur hier gibt. „Endemisch“ ist der Fachausdruck dafür.

Ich habe mich nicht der Mühe unterzogen, jene Namen kennen zu lernen, die ihnen die Wissenschaft gegeben hat. Ich schau sie an und rede mit ihnen. Vor allem mit den Hunden, die nachts manchmal pausenlos bellen. Vor fast jedem Haus hier liegen ein bis drei dieser Tiere an der Kette. So richtig scharf kommen mir diese Tiere nicht vor. Für einen potenziellen Einbrecher sind sie allemal unangenehmer, wie die elektronisch ausgelösten Bewegungsmelder. Darauf hört ja doch keiner mehr.

Haustier – ist das eine Eidechse oder ein Geko? Jedenfalls eines der Tiere, das gut zuhört, wenn ich mit ihm spreche. Sie/er selbst hört sich sehr stumm an.

 

Bei den weißen Vögeln hat Gigi was von Ibis gesagt, die schwarzen halte ich für Reiher

Dem Schnabel nach ein Fink?

Zu hören und auch zu sehen sind tagsüber Tauben und Stare. Letztgenannte sehen aus wie schwarze Amseln, vom Benehmen und vom Tönen her aber sind es Stare.

Nur zu sehen, aber so flink, dass ich sie mit der Kamera nicht zu fassen kriege, sind die Kolibris.

Und nur zu hören sind nachts viele aus Bäumen und Wiesen tönende Insekten. Es sind hier fünf oder sechs Register zu unterscheiden: Die ziemlich vertraut klingenden Grillen, allerdings etwas heller im Ton als bei uns. Dann Zikaden, genau wie im Mittelmeer-Raum. Dann klingen irgendwelche Grashüpfer von den Bäumen wie tief gestimmte Schellenglocken. Was wie Frösche quakt, werden wohl auch Frösche sein. Der Klackklack heißt so, weil er so klingt. Und schließlich jenes Insekt, das so klingt, wie wenn eine größere Blechbüchse auf ein Rundeisen aufgespießt ist und sich da quietschend locker drauf dreht. Vor meinem Schlafzimmerfenster summt-brummt was mit 100 Hertz, ohne Unterbrechung, dass ich manchmal meine, es ist das Ladegerät vom Handy.

Und dann die Hunde! Es gibt Nächte, da ist es ziemlich ruhig. In anderen Nächten geht es etwas über Mitternacht hinaus und dann ist Ruhe. Und manchmal geht es die ganze Nacht durch. Einer fängt an und rundherum fallen die anderen ein – ohne Ende.

Ich vermag nicht zu erkennen, woran es liegt, dass manchmal – keinesfalls jede Nacht – ein Hund mit einem wirklich wunderbaren Bariton sanft zum Jaulen ansetzt und einen innigen, archaischen Schmerz ausdrückenden langgezogenen Ton von sich gibt. Sogleich setzen zwei Tenöre ein, es folgen Alt und Mezzosopran. Noch ein paar Mal setzt der Bariton neuerlich ein, wieder alle hinterher.

Es gibt ein sehr berühmtes Bild vom Letzten Abendmahl, wo ein oder mehrere Hunde unterm Tisch dabei sind. Es wurde die Frage erhoben, warum da Hunde unter des Herren Tische sind. Jemand hat die Antwort gegeben: Auch die Kreatur sehnt sich nach Erlösung. Dieses Wort und dieses Bild taucht auf bei mir, wenn mein Bariton zu singen beginnt und die ganze Meute singt mit. Wenn der Bariton aussetzt, ist es in Sekundenschnelle totenstill. Die Menschen hier reden davon, wenn die Hunde so heulen, dann stirbt bald darauf jemand in der Nachbarschaft. Die Hunde spürten das schon vorher und weinten darüber.

Vorhin hat mein Chor eine andere Nummer zum Besten gegeben: Der Bariton stimmt solistisch an. Er hat heute den Cantus Firmus. Und der Chor der hohen Stimmen kläfft munter dazu: „Wachet auf, ruft uns die Stimme, der Wächter se-her hoch oben steht! Wach auf du Stadt Jeru-husalem!"

 

Rastafari


Sie gehören hier zum Straßenbild: Männer mit Dreadlocks, entweder frei herabhängend oder unter einer großen Mütze auf dem Kopf verpackt.
Zum abendlichen Umtrunk mit mir in der Marina erscheint eine Frau diesmal in Begleitung eines braunen Knaben. Nennen wir ihn Lion. Er sieht viel jünger aus als er es ist(22). Die Rasta-Locken reichen erst bis zur Schulter. Zufällig habe ich in den Tagen vorher im Wikipedia mich ein wenig umgesehen, worum es den Rastas geht. Das liest sich wirklich gut. Und der junge Mann weiß sehr viel.


Als Kaiser Haile Selassie 1930 nach Jamaika kommt wird er von einigen Meinungsbildnern dort als die dritte und letzte Wiederkehr des Messias auf Erden „erkannt“. Er werde sie zurück nach Afrika, insbesondere nach Äthiopien führen. So wie einst Moses die Juden aus Ägypten wieder heim ins gelobte Land gebracht hat. Dass Haile Selassie diese Erkenntnis aktiv unterstützt habe, kann ich nirgends lesen Dass dort die Menschen verhungern und verdürsten, während hier in der Karibik alles grün ist, immer nur Frühling, Sommer und Erntezeit, immer Regen, immer feucht – das weiß mittlerweile hier jeder. Doch die Bewegung ist nun einmal da. Es besteht ein spirituelles Gebäude.

             


Was die Fruchtbarkeit des Landes angeht, haben es die Afrikaner hier besser getroffen, als die meisten ihrer in Afrika verbliebenen Brüder und Schwestern. Hätten sie nicht das Trauma im Kopf und in allen Zellen ihres Körpers die Erinnerung, hierher verschleppt worden zu sein, ginge es ihnen ebenso gut, wie einem Spanier in La Gomera. Ich habe den Eindruck, viele der Menschen hier haben dieses Trauma für sich persönlich aufgearbeitet. In der Gesellschaft scheint es mir latent vorhanden zu sein. Die Rastafaris jedenfalls arbeiten daran. Daher gehört ihnen mein Herz.
Lion weiß, dass die Rückkehr nach Afrika, im Besonderen nach Äthiopien, nun nicht mehr allein geografisch gesehen wird. Es hat sich bei den Rastafaris die Auffassung verbreitet, dass das als eine spirituelle Rückkehr zu verstehen ist. Es scheint also tatsächlich um die Überwindung des Bruches in der eigenen Kultur zu gehen, der durch die Versklavung geschehen ist. Anscheinend gibt es viele Rastafari, denen das gelungen ist. Sie können nun die Karibik als ihre Heimat ansehen und gerne hier bleiben. Zugleich ist es auch Nichtfarbigen möglich, Rastafari zu sein.
Die Rastafari vermeiden es, die Schere an ihre Körperhaare anzulegen. Da gibt es im Alten Testament eine Quelle dazu. Aus Liebe zu sich selbst meiden sie künstlich-chemische Substanzen in der Nahrung – daher wenden sie sich dem ökologischen Landbau zu. Sie meiden Fleisch, Milchprodukte und Eier. Das haben wir an Lion tatsächlich gesehen. Auch Alkohol und Nikotin sind unüblich, ausgenommen Marihuana. Lion trinkt Fruchtsaft.
Sie reden recht offen über Sexualität und leben sie anscheinend auch bewusst intensiv. Lion sagt, dass es gut ist, sich einfach mal in die Arme nehmen zu lassen.
Über die Reggae-Musikanten ist viel Rasta-Gedankengut in die Öffentlichkeit gekommen, obgleich manche Rastas diese Musik ablehnen. Mit homophoben Texten liegen die Liedtexter nicht im Mainstream. Auf deutsch: Ihre Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Liebe liegt nicht im Strom derzeit zu beobachtender veröffentlichter Stimmungen.
Den Rastas ist die Offenbarung des Johannes wichtig, heißt es. Und dann vieles aus dem Alten Testament. Auch wenn man mit dem Festhalten an diesen fremdsprachlichen, sinnverstellt übersetzten Texten nichts unter der Mütze hat – ich sehe, es gibt den Menschen Halt.
Möglich, dass es genau solcher Bewegungen bedarf, solches Wahrhalten alter Texte, um sich jenen Halt zu geben, der den Menschen hier wichtig zu sein scheint.

Wenn ich mit anderen Inselbewohnern hier über Rastafari rede, dann wird ihre Stimme leiser. Sie wiegen den Kopf und runzeln die Stirn. Wie wenn ihnen was unheimlich wäre. Man müsse unterscheiden zwischen solchen, die im Hinterland auf ihren Biofarmen arbeiten und solchen, die in der Stadt herumlungern und die hohle Hand aufhalten, verstehe ich.

 

Drei Tage auf Martinique


Entweder ein Ausreiseticket vorlegen und damit den Aufenthalt verlängern lassen oder ausreisen. So verlangt es die Immigrationsbehörde in St. Lucia. Mein bescheidener Hinweis auf regelmäßiges Einkommen trägt mir den strengen Verweis einer unfreundlichen Beamtin ein.
Weil ich diese nicht gerade gastfreundliche Bestimmung nicht ändern kann, verreise ich 3 Tage lang in die EU – nach Martinique. Dort und auf der französischen Fähre lasse ich 300 Euro, die sonst nach St. Lucia geflossen wären. Gestern bin ich neuerlich eingereist in St. Lucia. Das geht. Auch wenn es der barsche Uniformierte bei meiner Wiedereinreise nicht gleich glauben kann. Ja, von den Reiseprospekten tönt es freundlicher. Die Grenzer haben eine andere Sicht der Dinge. Sie sind ja gewissermaßen das Immunsystem des Landes. Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Sie wittern hinter jedem Einreisenden eine Gefahr. Auch in meinem Proviant. Auf diese Weise sind mir zwei martiniqueische Bananen in die Hände des St.-Lucianischen Grenzers gefallen. Die Grenzkontrolle hier war noch gründlicher als auf Flughäfen. Jedes Handgepäckstück wird restlos ausgeräumt und gesichtet. Was mit meinem Kniestrumpf sei, will die Security-Frau wissen. Es kommt mir strenger vor als Einreisen in die Tschechoslowakei zu Zeiten des Eisernen Vorhanges.


Einchecken zur Fähre 90 Minuten vor Abfahrt.


Martinique ist Teil von Frankreich auch EU. Ich war richtig erschrocken, wie mir der Bankomat die einst vertraut gewesenen Euro-Scheine in die Hand schiebt. Auch der Rechtsverkehr auf den Straßen verwirrt mich bereits.

 

Wieder-Ankommen in Martinique


Mein ursprünglicher Plan war gewesen, ein paar Tage nach Dominica zu fahren oder nach St. Vincent südlich von St. Lucia. Das habe ich vertagt, denn habe ich feststellen müssen, dass es nach Süden überhaupt keine Fähren gibt und nach Dominica im Norden nicht an diesem Sonntag, dem letzten mir erlaubten Tag auf St. Lucia. Mir hätten diese Inseln gefallen, weil sie dünner besiedelt sind und vermutlich ursprünglicher in allem.

Einchecken mindestens 90 Minuten vor Abfahrt. Die Kontrolle ist noch gründlicher als auf Flughäfen, obgleich die Überfahrt auf der Schnellfähre keine 2 Stunden dauert

Wir verlassen den Hafen von Castries, der Hauptstadt von St. Lucia

Diese beiden Motorradfahrer machen sich einen Spaß daraus, während der ganzen Überfahrt hier auf diesem Aufbau am Achterdeck zu sitzen.

Während das Boot einigen Seegang hat und drinnen die Menschen nach Plastiksäcken kramen und das Deck von Fontänen der Bugwelle übersprüht wird, erproben die beiden ihre wasserdichte Motorrad-Dress.


Der Diamant-Rock vor Matinique kommt in Sicht.


So lande ich nach Einbruch der Dunkelheit mit der Fähre in Forte de France, der Hauptstadt von Martinique.


Die Fährstation in Fort de France, der Hauptstadt von Martinique – ich bin wieder in EU und Euro-Land.
Ein „normales“ Hotel kostet hier an die 200 Euro. Ich möchte fürs gleiche Geld lieber länger bleiben können. Ich bewege mich aus dem Hafengelände hinaus. Weil der Hafen außerhalb jenes Stadtplanes liegt, den ich gerade zur Hand nehme, irre ich am Place F. Mitterand herum, dann dem Boulevard Genéral de Gaulle entlang und finde in einer Bar endlich die Orientierung. Auch die Straßen mit billigen Hotels erfahre ich von der freundlichen Barkeeperin.
„Hotel bon lit“ ist meine Wahl. Das heißt auf Deutsch „Hotel gutes Bett“, wie ich am nächsten Tag im Wörterbuch nachlese. Das Bett ist wirklich gut, weich und weit, groß genug für zwei. Bloß das Zimmer ist zu klein dafür. Wenn ich zum Waschenbecken will, muss ich das Bett an die Tür schieben und wieder zurück, wenn ich raus will. Warum haben die kein Einbettzimmer daraus gemacht?
Es ist mir aber nicht wichtig. Hauptsache, es gibt keine Kakerlaken. Es gibt auch kein Fenster, aber dennoch Mücken. Sie sind viel leichter zu erschlagen wie jene in meinem Zimmer in St. Lucia, denn - sie sind voller Blut. Das muss von meinen Vorgängern sein. Aids wird durch Mückenstiche nicht übertragen, fällt mir erleichtert ein. Ich freu mich schließlich darüber, dass ich ein so billiges Zimmer gefunden habe. Den Varianten Parkbank oder unter der Brücke bin ich entkommen. Ein langer Tag liegt hinter mir. Ich bin bald eingeschlummert.
Um Mitternacht werde ich wach. Im Nachbarzimmer weiß man und frau das Doppelbett voll zu nützen. Ein Paar – so vermute ich mal – schenkt zutiefst irdisch einander und sich selber die Liebe. Manche sagen dazu, sie „machen“ Liebe, so in der schönen Vorstellung, dass solches Tun die Liebe mehre. Die Frau tönt zuhöchst aus dem siebenten Himmel. In ihm vermute ich den Verursacher der Geräusche von viel niedrigeren Frequenzen und hohen Amplituden aus der Matratze. Das geht bis in die Morgenstunden so dahin, mit Unterbrechungen, wo sie ihm – ich nehme an – Liebevolles zu erzählen hat, während er sanft dem nächsten Durchgang entgegen schlummert. Diese Töne aus dem Jenseits, von hochbeglückten Frauen ins Dieseits gebracht, das hat schon was Besonderes! Ich mag das grundsätzlich sehr gerne, lieber als tätiger, als bloß lauschender, des Schlafes beraubter Zeuge.
Ich strecke mich nach der Decke, in der Karibik in aller Regel nur ein Leintuch, und nehme noch eine Mütze Schlaf. Hell wird es im fensterlosen Zimmer freilich nicht. Ich dreh das Licht an – und siehe da: Eine Kakerlake huscht unters Bett!

 


Ein Bummel durch die Altstadt, dann die Fahrt in den Norden der Insel


Von „alt“ im Sinne europäischer Altstädte kann natürlich keine Rede sein. Es sind Betonskelette, die die engen Gassen begrenzen. Gerade Kanten, flache Dächer – mit einigen wenigen Ausnahmen. Ein Geschäft mit bunten Stoffen fällt mir auf – hier nähen sich die Menschen ihre Kleidung auch mit der eigenen Hand.



Es ist freilich leichte Kleidung. Viel weibliche Schönheit bleibt unbedeckt, entdecke ich an diesem Vormittag besonders deutlich.

       

Vor und in der Cathedrale St. Louis

Zu Mittag setze ich mich ins Sammeltaxi und fahre nach Le Morne Rouge – Die Rote Erde, so heißt die Stadt am Fuße des berüchtigten Vulkanes am Gipfel der Montagne Pelée. Wir fahren durch und über die Berge. Ringsum dichtestes Grün. Ich erinnere mich gut an eine Rundfahrt vor 42 Jahren. Mit dem Leihauto sind wir damals die gleiche Strecke gefahren wie heute. Da ist tatsächlich jener Bach, wo Frauen ihre Wäsche gewaschen haben, bewacht von ein paar Männern.
Damals war ich Tellerwäscher und Klo-Putzer auf einem Bananendampfer. Ich hatte, nach Abschluss der HTL, zu einer längeren Reise angesetzt. Starke Liebesfäden nach Österreich, zu meiner späteren Frau, haben sie mich frühzeitig abbrechen lassen. Unsere Kinder befanden sich möglicherweise schon in Warteposition und haben Regie geführt. Wer weiß, wieso das alles so kommt?
Nun bin ich wieder da, allen Liebesfäden freundlich und dankbar zuwinkend ---

              

Motive aus dem Zentrum von Le Morne Rouge

Abseits der Straße habe ich mich am Dienstag, dem 31. März bewegt: Ich habe von Le Morne Rouge aus den Montagne Pelée bestiegen.
Das ist so passiert: Ich merke, dass das Sammeltaxi bereits über das andere Ende von Le Morne Rouge hinausgefahren ist und steige bei der nächsten Haltestelle aus. Es ist gerade Mittag vorbei. Ich setze mich ins Wartehäuschen und warte. Keine Ahnung was ich jetzt tun soll. Nach einer halben Stunde steh ich auf und gehe talwärts in die Richtung des Stadtzentrums zurück. Nach zehn Minuten stehe ich vor dem „Regionalen Vulkan-Museum. Das interessiert mich. Ob ich hier wohne, bzw. hier nächtigen werde, fragt mich der Kustos. „I hope“, gebe ich zuversichtlich zurück. Er wüsste mir eine sehr, wirklich sehr schöne Unterkunft, sagt er mir. „Ja, bitte“, bedeute ich. Während ich den Film über den Vulkan ansehe und die Runde durch die Ausstellung mache, hat der Kustos jene Vermieterin organisiert, in deren Haus ich zwei mückenlose, lauschige Nächte verbringen werde. Sie holt mich mit dem Auto ab. Ich schau mir das an – alles klar. Keine Kakerlaken, viele Fenster, große Räume, keine Stimmen aus Nachbarzimmern, nicht einmal Hunde.


So bekomme ich mein Frühstück serviert – das liebe ich.
Der Montagne Pelée ist jener Vulkan, der 1902 ausgebrochen ist und ganz St. Pierre in Brand gesetzt hat. Bekannt ist, dass einer der zwei oder drei Überlebenden ein Gefängnisinsasse war. Ihn haben die dicken Gefängnismauern vor der Hitze geschützt. Immerhin hat er so viel abbekommen, dass er später mit seinen Brandwunden im Zirkus auftreten konnte. Mehr darüber in Wikipedia.


Noch nicht im Wikipedia zu finden sind Informationen über meine Besteigung des Vulkans – die findest du nur hier!


Es hat bis in den frühen Vormittag geregnet. Ich mache mich etwas spät zu Fuß auf den Weg.

       

Nach etwa 2 km Bundesstraße gedenke ich der 28000 Menschen, die 1902 nach dem Vulkanausbruch ihr Leben gelassen haben. Ein schlichtes Kunstwerk erinnert mich daran.

Nach etwa 2 km Bundesstraße gedenke ich der 28000 Menschen, die 1902 nach dem Vulkanausbruch ihr Leben gelassen haben. Ein schlichtes Kunstwerk erinnert mich daran.               

 



Es muss sehr schnell gegangen sein. Allein die sehr heißen, den Sauerstoff zunächst verdrängenden Gase haben alles erstickt und dann hat alles zu brennen begonnen. Es gibt den anschaulichen Bericht eines Augenzeugens. Er war Besatzung eines im Hafen ankernden Handelsschiffes. Er selbst und das Schiff hatten einiges abbekommen, doch er hat überlebt.
Nun zweigt nach links die Straße zum Parkplatz ab, wo dann der eigentliche Aufstieg beginnt. Den Straßenhatscher haben mir zwei freundliche Elektriker erspart. Im Laderaum ihres Kombis darf ich aufsitzen. Der Fahrer deutet unmissverständlich, dass wir was trinken werden mitsammen.



Rhum Blanc, das berühmte alkoholische Getränk der Insel, bekomme ich im Restaurant beim Parkplatz eingeschenkt. Das gibt Gas.

           

            

     

Anfangs sehr steil, mit zeitweiligem Gebrauch der Hände. Schwierigkeitsgrad 2 hätte das in der 6stufigen Skala meiner Bergsteigerzeit vor 50 Jahren geheißen. Inzwischen ist die Skala nach oben erweitert und dieser Weg (lt. Wikipedia) auf Stufe 1 gestuft worden. Ich war in Sandalen unterwegs, zeitweise barfuß, daher sehr froh über den bequemen Aufstieg zum Krater. Die Wolkenunterseite ist so um 800 bis 900 m hoch. Ich gehe daher seit dem Restaurant im Nebel. „Bon jour“, „Bon jour“ vertiefe ich mein Französisch im Gespräch mit absteigenden Menschen.
Ich komme bis zum Kraterrand. Es nieselt und nebelt. Vor mir liegen drei unsichtbare Gipfel. Einer heißt Chinois (= chinesisch) – keiner kann mir sagen warum. Der andere ist jener Pfropfen (1364 m), mit dem sich 1902 das Loch ins Innere des Vulkans wieder geschlossen hat. (Ich vermute, dass der herausgewachsen ist). 1929 gab es noch mal einen Ausbruch, ohne die verheerenden Folgen von 27 Jahren vorher. Auch am Ende dieses Ausbruches ist zähflüssiges Magma in der Ausbruchsöffnung stecken geblieben und hat einen Pfropfen gebildet. Gesehen habe ich das alles nur vor meinem belesenen Auge.
Die Pfropfenbildung ist eine Besonderheit dieses Vulkans. Das kommt von dessem zähflüssigen Magma. Weil der Vulkan infolge der Pfropfen nicht ständig abblasen kann, wie etwa der Stromboli, ist er schwer berechenbar und daher gefährlich. Im Laufe der Jahrzehnte steigt der Druck im Inneren der Magma-Blase (weil sich Erdmassen aus dem Osten unter die der Kleinen Antillen schieben) und dann sprengt es die Pfropfen oder die ganze Bergkuppe ab. Inzwischen hat man ein feinfühliges Warnsystem eingerichtet. Es steht kein Ausbruch bevor. Dennoch - angesichts des Nebels, meiner Sandalen und eingedenk der fortgeschrittenen Stunde besteige ich keinen der drei Gipfel, sondern beende meinen Aufstieg am Kraterrand in 1245 m Höhe.
Kurze Rast und dann auf zum Abstieg.

   

Nebel auch beim Abstieg.

     

Und viel üppiges Grün

      

      

      

Ich komme allmählich unter die Wolken

      

      

      

      

Und ich kehre heim in mein wunderbares Apartement.

      

Und wie geht es weiter auf und ab St. Lucia?

Ich bin die vierte Woche hier, das nächste Tschüs steht vor der Tür.
Weil ich die Aufenthaltsbestimmungen hier nicht ändern kann, reise ich eben alle vier Wochen aus auf ein paar Tage ins Ausland. Und dann wieder neu ein. Zuletzt ist es Martinique gewesen.
Es wird diesmal Dominica sein, denn auch dort sei die Kriminalität niedrig, hat man mir gesagt. Und das Land muss sehr schön sein. Einmal in der Woche gibt es dorthin eine Fähre. Gerne würde ich auch mit jemandem segeln – hin und zurück. Doch das wäre wirklich ein großer Zufall, wenn sich das ergibt.
Ab 10. Mai habe ich eine Stelle als Volonteur in Aussicht: ein wunderbarer großer Park, darinnen vier Gästehäuser, das Restaurant und ein Seminarraum. Es gibt dazu Bio-Gärten für den eigenen Bedarf – ein zauberhafter Platz, fand ich.

      

      

In einem Forum hat mich ein Österreicher entdeckt. Wir haben vereinbart, dass ich Mitte Juni mit ihm eine Überstellung nach Trinidad fahre. Gerne würde ich wieder nach Grenada zurückkehren, denn auch hier dem Vernehmen nach: weniger Kriminalität, viel schönes Land, freundliche Menschen.
Im August wird Bernd wieder auf seinem Boot in Trinidad sein. Mit ihm bin ich schon vor mehr als einem Jahr übereingekommen, mal bis Panama zu segeln. Und dann wollen wir weiter sehen.

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