Und wieder in Trinidad
von 10. September bis 29. Oktober 2009

 

Wieder in Trinidad

Die Orexis steht am Land bei Peake, einer der vielen Trockenmarinas in Chaguaramas.
Chaguaramas ist eine Ansiedlung am nordwestlichen Zipfel von Trinidad.
Früher hatten die Amerikaner hier eine Militärbasis. Heute besteht Chaguaramas hauptsächlich aus einem halben Dutzend Marinas, darin sind Spezialfirmen angesiedelt, die alles liefern und machen, was Langzeitsegler brauchen.

Es gibt hier außerdem noch zwei Kasernen, zwei Banken, ein Militärmuseum und die Pier 1, wo die Fähre nach Venezuela jeden Mittwoch ab- und anlegt. Es gibt ein paar Restaurants und zwei kleine Supermärkte, schließlich das Immigrationsbüro und die Zollabfertigung. Wohnen tut hier kaum jemand. Ins 15 km entfernte Port of Spain fahren die gelben Maxi-Taxi, wenn man eines braucht im Viertelstundentakt, ansonst alle 5 Minuten.

An Bernds Boot gibt es noch ein paar Sachen zu machen: Wassermacher, Schraubenwelle, verschiedene Halterungen im Schiff, Lack am Metallrumpf, Holzteile anschleifen und neu ölen oder lackieren, Antenne einbauen, Leinenführung und anderer Kleinkram. Ich habe also reichlich Gelegenheit mich nützlich zu machen.

Bernd hat für die Zeit am Trockenen ein Klimagerät eingebaut. Das macht den Aufenthalt unter Deck sehr kühl und angenehm. Draußen heißt es schwitzen. Vorgestern haben wir für die Körperwaage eine Befestigung im Bad angebracht. Die Waage zeigt immer zu viel an, wie die meisten Waagen.

Altes Zeug wird gesichtet. Wir haben Brot in Dosen gefunden. Bernd sagt, das sei schon 20 Jahre alt. Ich habe vor drei Tagen sehr vorsichtig begonnen, den Inhalt zu verkosten. Ob meine morgendliche Flucht auf die Toilette bereits ein Ergebnis ist, kann natürlich nicht gesagt werden. Vorgestern habe ich eine halbe Schnitte an Bernd und eine weitere halbe an mich verfüttert.

Auch für Essig und Öl wird es bald Halterungen geben. Ein Bücherbord ist im Entstehen. Im Cockpit habe ich den losen Lack schon abgekratzt. Und dann sitzen wir beide viel am PC. Es gibt da einfach so viel zu tun! Aber Surfoholiker sind wir nicht. Nein, wir nicht. Das sind die anderen.

 

So richtig gemütlich ist es auf einem Schiff, das man über eine hohe Leiter erklimmen muss nicht.


Nebenan ist ein stinkiger Bach. Die Klimaanlage ist laut und kalt. Die Toiletten sind weit außerhalb. Schmucklose Gebäude und wenig Natur. Ich dränge auf Aufbruch.Weil jeder Tag hier dem Bernd etwa 20 Euro kostet, dachte ich, dass das auch ihn drängen würde hier weg zu kommen. Es sollte sich zeigen, dass dem ganz und gar nicht ist. Er sitzt lieber stundenlang am PC und blättert in seiner „Briefmarkensammlung“. Das ist ein Forum „Wer kennt wen?“ Da kommt kein Heimweh auf.

 

El Nino im Pazifik

Im Pazifik hat es schwachen El Nino. Bernd eröffnet mir das am zweiten Tag, mit der Anmerkung, dass er aus Verantwortung für mich, für sich und sein Schiff auch bei nur schwachem El Nino nicht in den Pazifik segeln werde. Für mich sei das bedauerlich, meint er, denn es werde kein Segler in den Pazifik gehen. Aber ich könnte ja mit ihm in der Karibik noch ein Jahr segeln.

El Nino ist eine anomale Erscheinung von Meeresströmungen, Temperaturen von Luft und Wasser, von Luftdruck, Wind und Wetter, die alle paar Jahre auftritt. Bei El Nino können Meeresströmungen und Luftdruck im Pazifik kippen. An der Küste von Südamerika kann es heftige Regenfälle geben. Die Fischschwärme bleiben aus. Auf den Philippinen kann der Regen ausbleiben. Im Winter 1940/41 ist es im Zusammenhang mit einem heftigen Pazifik-El-Nino in Russland so kalt gewesen, dass der Marsch der Deutschen Wehrmacht auf Moskau gescheitert ist. El Nino – auf deutsch „das Christkind“ - tritt besonders um die Weihnachtszeit in Erscheinung, weshalb man ihn in Südamerika so genannt hat.

"Was bedeutet der aktuelle El Nino für den Segler?" Diese Frage habe ich in alle mir zuständig vorkommenden Foren gestellt. Aus den Rückmeldungen schließe ich:

Der Passat wird schwächer sein. Die Saison der Wirbelstürme wird nicht anders sein, doch sie können häufiger und auch stärker sein und etwas außerhalb der normalen Taifungebiete und –zeiten auftreten.

Nach zwei Wochen eifrigen Forschens im Internet sehe ich klar. Ich sage dem Bernd, er könne es sich aussuchen, ob ich mit ihm in den Pazifik segle oder mit wem anderen. Wenn ich bloß wen anderen gefunden hätte! Ich durchforste ein Dutzend Mitsegel-Foren, gebe in allen meinen Mitsegelwunsch bekannt. Doch es tut sich nichts. Ich meine, das Beste in dieser Situation zu tun: Dem Bernd helfen, die Orexis pazifiktauglich zu machen.

Doch bei Bernd erkenne ich wenig Bock. Er hat eine Liste aller Vorhaben am PC. Ich habe eine To-Do-Liste für mich gemacht und eine geheime für ihn. Da frage ich ihn dann ab: „Was brauchen wir eigentlich noch, um die Welle einzubauen?“ „Hast du den Primer schon gefunden? Dann könnte ich beginnen, das Boot zu streichen.“ Und so weiter.

Ich weiß, dass ihm das auf die Nerven gehen könnte, und bin recht behutsam. Aber ich kann es ihm nicht ersparen. Entweder will ich segeln und wir machen das Boot flott flott. Oder ich ziehe gleich Plan B durch: Am Landweg über Venezuela und Kolumbien nach Panama kommen. Ich hätte die stinkige Marina gegen die paradiesichen San-Blas-Inseln eingetauschen sollen, wie ich spätestens seit Neujahr 2010 weiß. Leider entscheide ich mich nicht sogleich für den Plan B, sondern rechne damit, dass ich mit Bernd zumindest bis Panama eine schöne Segelzeit haben werde.

 

Ein Tag auf der Orexis

Wir sind im Ruhestand und nicht auf der Flucht. Daher sind wir nicht jeden Tag so fleißig. Ein fleißiger Tag sieht etwa so aus:

05:30: Es dämmert. Bernd holt sich sein Waschzeug und macht sich auf den Weg zum 120 m entfernten „Restroom“.

Bald darauf erhebe ich mich, trete kurz nach draußen an den Bach. Vom anderen Ufer winken mir kleine, einarmige Winkerkrabben zu. Am nahen Wasserhahn erfrische ich mich. Dann begrüße ich meinen allmählich erwachenden Körper mit ein paar sanften Übungen: Arme kreisen, Beine kreisen, an den Ohren ziehen, den Oberkörper beugen und noch ein paar sanfte Dehnungen. Wieder am Boot eine Pille schlucken für die Knie, sodann diese liebevoll eincremen.

Ich habe mich fürs Frühstück zuständig gemacht. Für mich wird es heute üppig: Zwiebel in die Pfanne, an Öl glasig anbraten, 2 grüne Paprika geschnitten drauflegen, etwas Wasser dazu, dann Tomaten und zuletzt 4 Eier, etwas Salz, Pfeffer, Kreuzkümmel, Curry und Oregano. Das gibt Gas. Dem Bernd, serviere ich zuerst mal unsere Waage. Sie zeigt immer noch zu hoch an, doch sie bessert sich. Dann gibt es 3 Scheiben Weißbrot aus dem Toaster. Wer kocht braucht nicht zu spülen. (Alte chinesische Weisheit :-).

Während Bernd noch spült, sitze ich schon am PC. Ach - heute hat mir jemand ins Gästebuch der Homepage geschrieben! Das war schon lange nicht mehr da. Neue E-Mails? Das meiste kommt in den Papierkorb. Was schnell geht wird gleich beantwortet. Siehe da, meine Tochter schickt Bilder von ihren Kindern! Das Forum „Find a Crew“ hat wieder zwei Segler gefunden mit über 70 % Übereinstimmung mit dem was ich suche. Dass der eine im Mittelmeer segeln will und noch jemanden braucht, der 2 Hände hat, nicht raucht, und auch mein hohes Alter nicht scheut, Geschlecht egal, Nationalität auch egal - berührt mich wenig. Der Segler von Panama nach Neuseeland – ja dem gehe ich nach. Er erwartet 50 USD je Tag Kostenbeteiligung. Da geht mein Interesse gegen Null. Und einige Spams mit Angeboten mir irgendwas zu verlängern oder lustiger zu machen – trotz meines engmaschigen Spamgitters flutschen solche Sachen immer wieder durch.

Längst sitzt Bernd neben mir. Er blättert in seiner „Briefmarkensammlung“.

Um 08:00 kommt auf Kanal 68 der „Rundspruch“. Ein Mensch aus der Seglerkommune meldet sich, fragt, ob wer einen Einwand hat, dass nun der Rundspruch kommt. Hat natürlich niemand. Dann die Frage, ob wer dringend Hilfe benötige. Jemand gibt das Wetter plus Prognose durch. Dann kann jeder, der was weiß „Social Events“ bekannt geben. Die Wirtin vom „Wheel“ liest wieder ihre Speisekarte vor. Es kommt die Frage nach den „Schätzen aus der Bilge“, also was jemand verschenken möchte. Verkauft werden darf nichts, aber tauschen und schenken darf sein. Wer braucht was? Wer fliegt weg von hier und kann was mitnehmen?

 

Wir arbeiten auf der Orexis!

In der Vorwoche hatte ich Pläne gezeichnet für Halterungen für den Induktionsherd, für das Bücherbord und den Barografen. Beim Holzfritzen (Bernds Bezeichnung für die nahe Tischlerei) haben wir die Teile zuschneiden lassen. Nun beginnt Bernd mit dem Zusammenbau.

Da wo der Mast durch das Schiffsdeck ins Freie geht, dringt Wasser ein. Bernd drückt mir einen Hut aus Vinyl in die Hand und eine sehr genaue Beschreibung auf Englisch, wie ich daraus eine Manschette machen kann, die den Mast dichten soll.

Der Bugkorb ist locker. Mit je 3 Edelstahlschrauben sind die 4 Füße des Korbes an den Alu-Rumpf geschraubt. Locker sind nicht diese Schrauben – im Gegenteil, die sitzen ganz fest und nötigen mir kräftige Zuwendung ab. Die meisten Schraubenköpfe sind ausgewergelt, sodass der Schraubenzieher nur mit viel axialer Kraft hält. Um das kräftige Drehmoment aufzubringen, bedarf es einer Ratsche – Bernd hat das alles an Bord. Es gibt nichts, was der Bernd nicht hätte!

Ich werke 4 Stunden in der prallen Sonne. Jetzt ist meine Überhose durchnässt von Schweiß, wie wenn ich aus der Dusche käme. Dorthin begebe ich mich nun.

Bernd hat seine Halterungen und das Bücherbord ziemlich fertig bekommen. Die Küche wird zur Werkstatt umgeräumt.

Der Toaster hat seinen Platz auf der WC-Schale. Der Wasserkocher steht am Waschbecken.

Ein neuer Tag. An Bord geht es gemächlich weiter: Die Öl- und Essigflaschen haben ihren fixen Platz bekommen, die Bücher stehen im Bord,

der Barograf hat seinen Platz,

darunter hat der Induktionsherd sein Fach gefunden.

Einen Thermografen in seiner Kabine zu montieren, konnte ich dem Bernd ausreden, gegen sein sehr starkes Argument, dass er die beiden -grafen sehr preiswert auf einem Flohmarkt erworben habe. Da die Kenntnis der Temperatur in der Kabine nichts beiträgt zur Wettervorhersage und ohnehin zu wenig Platz ist, muss der Thermograf wieder in den Stauraum.

Die Waage steckt im Bad in einer schlauen Vorrichtung. Nicht schlau werde ich aus ihren Anzeigen. Ob die was mit dem Luftdruck zu tun haben, werden wir ermessen können, sobald nun der Barograf läuft. Der Barograf ist eine Zierde in Bernds Boot.

Der Bugkorb sitzt wieder fest. Die Kette hat alle 10 Meter eine Farbmarkierung bekommen.
Ich habe außen am Schiff viel Holz angeschliffen,

um es für eine neuerliche Ölung vorzubereiten. Aluminium brauchte eigentlich keinen Korrosionsschutz. Alu-Schiffe werden aber dennoch lackiert, weil man meint, sie schauen dann besser aus. Unter dem Lack kann es dann zu Korrosionen kommen, die sehr unangenehm sind, weil sie den Lack abheben. Und dann gibt es noch den unangenehmen Lochfraß: Hat Aluminium erst mal begonnen unterm Lack zu korrodieren, dann setzt sich das ganz rasch fort und auf einmal hat das Schiff ein Loch. Unterhalb der Wasserlinie kann das sehr unangenehm werden.

 

 

Wir bereiten uns die Mahlzeiten zumeist selber zu. Bernd und ich haben ziemlich ähnliche Essensvorlieben: Kaum Fleisch, vorwiegend Gemüse und Obst. Wenig Alkohol. Wir trainieren beide auf Waschbrettbauch, der doch irgendwo in der Tiefe auf seine Freilegung lauert muss!

 

Spielend Englisch lernen
Mexikanisches Domino – mit 12 Augen, 91 Steinen und 3 bis 8 Mitspielern


Im morgendlichen Rundspruch auf Kanal 68 ward es angekündigt: Domino, auch für Anfänger, Sonntag ab 13 Uhr in der „Breece“, einem luftigem Durchgang beim Hotel „Crews Inn“.

Ich komme gerade noch rechtzeitig. Es wird auf 4 Tischen gespielt mit je 5 bis 6 Spielern und Spielerinnen. Es sind offensichtlich Frauen und Männer von Booten, die hier im Wasser, am Steg oder draußen vor Anker liegen, oder "on the hard“ stehen, wie die Orexis. Ich bin der einzige Deutschsprachige hier. Also wieder mal was zum Englisch lernen, spielend, sozusagen. In den „Betrachtungen“ dieser Homepage gebe ich das Gelernte vorerst auf Deutsch wieder, damit man mich auch verstehen kann.

Eine genauere Beschreibung des Spiels habe ich hier beschrieben : mexikanisches Domino

 

Korrosion überall

Seit Tagen kratze, schäle, schleife und bürste ich alte Farbe ab von Holz und Alu. Und dann beginnt das Streichen und Aufrollen neuer Farbe.

Beim Holz ist das Sanieren ziemlich einfach. Es ist ein sympathisches Material. Die alte Farbe lässt sich zu 3 Viertel abschälen. Der Rest wird geschliffen. Dann kommt Öl drauf. : Holzrand des Schiffes, Bänke und Fensterrahmen.

Beim Alu braucht es viel Kraft. Es gilt hier jene Stellen aufzuspüren, wo der Lack sich abhebt vom Untergrund. Mit dem Dreieckkratzer schäle und kratze ich alles ab bis das Alu hervorkommt. Dann muss alles geschliffen werden – eine staubige Sauerei. Wenn es eng wird, kommt man mit den Maschinen nicht heran. Also Handarbeit. Dazu brennt die Sonne herab. Nach 3 Stunden bin ich reif zum Duschen und Abkühlen.

Dem Bernd setzt die Hitze noch mehr zu. Er bevorzugt den Innendienst: Nicht nur kochen, auch spülen. Ich bin draußen in meinem Element. Ich bin nun schon ein ganzes Jahr südlich des 28. nördlichen Breitengrades, davon das letzte halbe Jahr südlich von 17 Grad, bin nie zwischendurch heim geflogen, daher recht gut akklimatisiert.

So Stück für Stück an Fläche vorbereiten zum Streichen, das mag ich. Natürlich schätzt Bernd meine Arbeit. Das ist auch wichtig für mich. Dass mir der Schweiß am Körper herunter rinnt, das ist herrlich wie in der Sauna. Mit dem Unterschied, dass ich es hier umsonst habe. Bernd lädt mich nach solch heißen Sitzungen zum Essen ein.

Mein Laptop hat immer noch die „Barcodestriche“ im unteren Drittel des Bildschirmes. Inzwischen weiß ich, dass das die korrodierten Kontakte am Übergang vom Rechner zum Bildschirm verursachen. Ich weiß auch, dass ich nicht mehr in der Garantie bin und die Reparatur bei € 300 kosten wird.

Auch meine Kamera ist von innerer Korrosion infolge äußerer Feuchte befallen gewesen. Die Reparatur war vorübergehend von Erfolg, dann vorübergehend von Misserfolg. Im Moment erfreue ich mich einer erfolgreichen Phase. Das ist Patrick, der Kamera-Spezialist aus der Queenstreet. Er hat den Fotoapparat 3 x wieder hoch gebracht.

Die Korrosionen in meinen Knien habe ich in den Griff bekommen. Das ist ziemlich gut geworden. Jetzt klagt Bernd über Schmerzen in seinen Knien. Er hat sich jetzt einen Liter Fischleberöl gekauft.

Ich hoffe, der Bernd derfangt sich. Denn ich möchte ihn als angenehmen, gastfreundlichen unkomplizierten Kapitän und Eigner nicht verlieren.

 

Frischemarkt am Samstag

- ein Muss für Bernd, denn er ist sicher, dass es hier das frischeste, billigste, beste Obst und Gemüse in der größten Auswahl gibt – soferne man nicht zu spät kommt. Daher flott gefrühstückt. Kein Rundspruch mehr um 8 auf Kanal 68. Da sind wir längst auf den Beinen.

Mit dabei sind ein Seglerpaar aus Bad Goisern, gleich links der Rene, dann der Bernd, der Helmut aus Niederösterreich, die Helga aus Bad Goisern und ganz rechts die Annemarie. Vom Tor der Marina bis zur Hauptstraße sind es noch 150 m. Da hat uns auch schon ein Taxilenker erspäht. Im Rückwärtsgang fährt uns entgegen. „Thank you. Do you go to frishmarket for us?“ Die Taxifahrer hier machen gegen geringes Entgelt auch Umwege und Weiterfahrten. Doch diesmal leider nicht.

Bis Port of Spain sind es 20 Minuten. Bernd und ich haben Zeit und Anlass, Studien und Betrachtungen über das Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer anzustellen. „Ich meine immer, die Schwarzen sind die besseren Autofahrer“, gibt Bernd sein Statement ab, „das war in Südafrika schon so.“ Tatsächlich zeigt hier niemand jemanden den Vogel oder gar den Stinkefinger wegen vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlverhaltens im Straßenverkehr. Dem Nachrang sanft absagen, auf den Vorrang kommentarlos verzichten, hat hier Kultur. Hupen heißt nicht „Blödmann!“ sondern „Hallo!“ als Gruß, oder „Willst du mitkommen?“ oder „Danke für Verzicht auf Vorrang!“

Am Busterminal angekommen, gehen wir die letzten 1000 Meter zu Fuß zum Markt. Erst mal quer durch den Fisch- und Fleischmarkt. Mit dem Fleisch haben wir es beide nicht, jedenfalls nicht mit dem toten. Ich dränge nach links, denn dort vermute ich den Kokosnussmann. Im Gegensatz zu anderen Inseln der Karibik schlägt man mir hier auf Trinidad die Kokosnuss nicht in 2 sondern in 3 Teile auf, wenn ich an das begehrte Jelly herankommen möchte. Ob das was mit der Trinität zu tun hat?


Bernd schätzt Wassermelonen wenig, ich sehr. Wir treffen uns bei einer halben Frucht um 20 TT (Trinidad-und-Tobago-Dollar, 1000 TT sind ca. 115 Euro bzw. entspricht 1 Euro etwa 8,5 TT). Die Preise sind in TT je Pfund (1 Pfund ist ca. 450 Gramm, sagt Bernd) angeschrieben: Kartoffel 2, Süßkartoffel 3, Tomaten 8, Karotten 6, Zwiebel 7, grüne Paprika 6, Weißkraut 5. Was immer du kaufst, es wird auf ganze Pfund ergänzt oder reduziert. Multipliziert wird sodann nur mit ganzen Zahlen. Der kleinste Schein ist der für 1 TT, im Wert entsprechend etwa 10 Euro-Cent. Mit Münzen – 25, 10, 5 und 1 TT-Cent – wird nur im Supermarkt hantiert, nicht hier am Markt.

Der Umgang mit Geldscheinen ist immer wieder merkwürdig für mich:

Heimfahrt diesmal gleich ab Frischemarkt im gelben Maxi-Taxi. Mitfahrer werden an jeder Stelle aufgenommen und abgesetzt. Irgendwelche Buchten dazu kennt man hier nicht. Die Autos dahinter haben zu warten, was sie ohne sicht- oder hörbares Murren tun. An einem der vielen Standln hält der Taxilenker. Er hat Hunger. Der Mann am Standl versteht sofort, hat er doch nur die Doubles zu verkaufen. Die werden vor Ort komplettiert: Auf rundem, fertig gebackenem Teigfladen von ca 17 cm Durchmesser wird pikant vorgefertigtes Kichererbsenmus aufgelegt. Darauf scharfe Soße, wenn gewünscht.

Dann wird der Fladen zu einer halbmondförmigen Tasche zusammengelegt, in dünnes, wasserfestes Papier kunstvoll eingeschlossen, dann mitsamt einer Serviette in ein Papiersackerl (=Papiertüte) gesteckt und so serviert zum Preis von 3 TT. 2 solcher Doubels ergeben ein anhaltendes Frühstück. Ich schaffe es nie, vom Double abzubeißen, ohne mir Kichererbsenmus auf Bart und Hand zu kleckern, weshalb ich für die mitservierte Serviette immer sehr dankbar bin. Immer steht auch irgendwo ein Wasserkanister bereit, um sich zu säubern.

Nun leben wir wieder sehr gesund an Bord der Orexis. Zu Mittag gibt es waschbrettbauchbegünstigenden Obstsalat. Wir kochen meist selbst. Bei dem billigen Gemüse hier sparen wir uns viel Geld. Ich bin der Spezialist für Obstsalat. Den habe ich drauf!

 

Ein guter Tag

beginnt heute mit menschlichem Rühren. Bernd ist begnadet zu regelmäßigem Stuhlgang am frühen Morgen. Heute bin ich – völlig atypisch – vor ihm dran gewesen. Das nenne ich mir einen guten Anfang!

Es hat die ganze Nacht nicht geregnet und ein sonniger Tag scheint bevor zu stehen. Ich werde heute den Primer auf das blank geschälte Aluminium des Schiffsrumpfes streichen können.

Doch nach dem Frühstück wird noch ausgiebig im Internet herumgeschaut. Bernd ordnet und sammelt in seinen „Briefmarken“.

Um 8 Uhr kommt der Rundspruch auf Kanal 68. Wer ist neu hier in Chaguaramas? Es meldet sich von „Anne X“ die Annemarie. Sie und ihr Mann, der Helmut, sind gestern angekommen. Ich erkenne sofort ihre Stimme. Nach dem Rundspruch melde ich mich gleich bei ihr. 10 Minuten später stehe ich an ihrem Boot. Annemarie und Helmut, die beiden Segler aus Niederösterreich, habe ich erstmals in Las Palmas am Steg getroffen. Mitsegeln war kurz erwogen worden, ist aber dann aber doch nichts draus geworden. Drei Monate später haben wir uns in Palmeira auf Sal/Kap Verden wieder gesehen. Darüber gibt es übrigens ein Bild auf meiner Website in „Aktuelle Reise“. Im Juni sind sie heimgeflogen und haben ihr Schiff alleine gelassen. Nun sind sie wieder da. Morgen werden wir in die Pizzeria zum Abendessen gehen. Ich freu mich schon auf lockeres Reden und Hören im heimatlichen Dialekt und auf alles, was mir die beiden von ihrer weiteren Reise erzählen werden.

Hier sieht man uns beim Montagabend-BBQ (=Grill)

Annemarie mit Bernd, Helmut, Annemarie und ich

Und dann habe ich den ganzen hinteren Teil des Schiffes überall, wo das blanke Alu herausgeschaut hat, ein erstes Mal mit Primer gestrichen.

Auch Bernd war sehr erfolgreich: Er hat die Welle wieder eingebaut und die neue Schraube hinten drauf gesetzt, eine mit beweglichen Flügeln. Noch vor der Schraube hat die Welle eine kreisrunde, messerscharfe Scheibe. Die soll allfällig eingefangene Leinen abschneiden, sodass sie sich nicht (so arg) in die Schraube verstricken.

Nun sitzt Bernd neben mir vor seinem Laptop und liest mir einen Witz nach dem anderen vor, aus einer Sammlung, die er auf irgendeiner Website aufgegabelt hat. Ich kann dem Bernd kaum einen Witz erzählen, den er nicht schon kennt. Er hat ein schier unerschöpfliches Reservoir an – freilich augenblicks-ausgelagerten – Witzen im Kopf. Er scheint sie auch gut geordnet zu haben, denn es kommt nicht vor, dass er mir einen Witz ein zweites Mal erzählt.

 

Doch nicht zum Urologen?

Bernd spürt es im Urin, sagt er, wenn Regen im Anzug ist. Gestern hat er das schon am frühen Vormittag verspürt und gemeldet. Als am Abend immer noch die Sonne vom Himmel glüht, lege ich ihm nahe, mal den Urologen aufzusuchen. Das hat dem Fass nicht nur bildlich den Boden ausgeschlagen, sondern auch meteorologisch: Zwei Stunden später schüttet es wie aus Fässern.

Unterm Boot steht das Wasser knöcheltief. Das weckt meine Tiefbaulust, deren Wurzeln in meiner Kindheit liegen. Viele lange Nachmittage habe ich Wasserburgen gebaut am damals noch sandigen Donaustrand in Puchenau bei Linz. Mit diesem Erfahrungsschatz konnte ich später die Bäche in der heimatlichen Hügellandschaft stauen. Höhepunkt meiner Tiefbaukarriere sind die Ausflüge mit meinen vier Kindern an den nahen Pesenbach oder zur Rodl gewesen. Riesige Stauwerke und Badetümpel sind damals unter meiner sachkundigen Anleitung entstanden.

Nun bin ich hier in Trinidad wieder in meinen Elementen Wasser und Erde. Was ich mit der Eintiefung im Unterlauf nicht schaffe, erreiche ich mit Dammbauten an der Stauwurzel. Das Eintiefen im Wasserbau hat ähnlich fatale Folgen wie das Verbreitern von Straßenstücken: Letzteres zieht zusätzlichen Verkehr an. Hier entwässere ich bereits die Flächen unter dem steuerbordseitigen Katamaran und der backbordseitigen SY „Truelove“. Bald wird das Wasser der gesamten Marina über mein eingetieftes Gerinne abfließen. Natürlich gibt es den bei Tiefbauarbeiten unvermeidlichen Kabelschaden: Plötzlich steht das Klimagerät. Für Bernd fast eine Katastrophe. Er kann sie abwenden. In kürzester Zeit hat er unseren Landanschluss wieder hergestellt: Ich hatte den Stecker bei meinen Grabungen herausgerissen.

Am späten Vormittag lässt der Regen nach. „Und du wolltest mich zum Urologen schicken!“ grollt mir der Bernd.

 

Wenn du zu Bette gehst –

vergiss das Racket nicht. Dem Nietzsche ist diese Problemlösung zur Mückenabwehr noch fremd gewesen. Ist er doch schon 1889 in die geistige Umnachtung gefallen, in der er wohl keine Mücken wahrnehmen konnte. Das erste Elektrofilter ist überdies erst 1910 entworfen worden.

Das Racket, mit dem wir zu Bette gehen, hat die Größe und Form eines Squash-Schlägers. Das „Netz“ besteht aus parallel quer gespannten Stahldrähten. Im Griff eingebaut sind Batterie, Spannungswandler und ein kleiner Druckschalter. Bernd hat 1200 Volt gemessen. Die Leerlaufspannung dürfte aber höher sein. Mit dem Schalter setzt man die Drähte unter Hochspannung.

Hat man eine gelandete Mücke gesichtet oder gar erspürt, dann nähert man den Schläger entschlossen der Mücke. Eine gewisse Behutsamkeit ist dann geraten, wenn die Mücke auf einem Teil des eigenen Körpers sitzt. Auch bei den Körperteilen des Mitseglers sollte diese Aufmerksamkeit gepflogen werden. Denn die Berührung mit den Hochspannungsdrähten ist schmerzhafter als ein Mückenstich, wenngleich rascher abklingend als dieser. Die Mücke scheint die Drähte nicht gut zu wahrzunehmen. Erst bei einem Abstand von 1 cm und weniger kannst du damit rechnen, dass sie sich erhebt und im nächsten Moment zwischen zwei Drähten verschmort.

Mücken im Fluge zu erhaschen ist, wie beim Tennis, mit Vorhand oder Rückhand möglich. Das Ziel ist immer das gleiche: Die Mücke muss schmoren. Je nach Grad der Sättigung mit Blut kommt es zu einer Geruchsentwicklung. Weil dieser Geruch den Entfall eines Blutsaugers signalisiert, löst er beim Mückenjäger Wohlgefühl aus und Genugtuung aus. Kann so eine Mücke die wohlverdiente Nachtruhe doch sehr vereiteln.

Bernd wünscht sich Hände wie ein Mückenracket. Ich kann das verstehen. Denn immer, wenn eine Mücke naht ist das Racket fern. Habe ich endlich das Racket in der Hand, ist die Mücke verschwunden. Wie Rackethände ankommen, wenn es unseren Sinn nicht nach Blut der Stechmücke gelüstet, sondern nach Fleisch und Blut der menschlichen Spezies, führt uns zu eingehenden verbal-erotischen Betrachtungen und Fantasien, mit dem klaren Ergebnis, dass Rackethände ablegbar sein sollten.

Noch habe ich ein Problem mit mir und der Mücke: Die Mücke für sich betrachtet ist mindestens so ein Wunderwerk der Schöpfung, wie die Winkerkrabbe am Bachufer gegenüber, wie der Pelikan draußen am Strand. Wie kann ich mir erlauben, dieses Lebewesen, das eigentlich auch nur leben will, mit solcher Lust zu zerstören? Den Blutsauger, der mir die Lebensqualität beschneidet, der mich mit Malaria, Gelb- und Denguefieber infiziert, der meine Interessen gefährdet - wie die Amerikaner es zum berechtigten Anlass jeglicher Aggression sehen -, diesen lästigen Widersacher einfach zu verteufeln? Ist das nicht der Anfang jeglichen bösen Unfriedens?

Max, mein Coach im Hintergrund weiß Rat:

"Lieber Volkmar, du führst mich mit deinen Ausführungen wieder tief in die Evolution :-) Ist es nicht genial, dass sich mit den Warmblütlern auch Tiere entwickelt haben, die deren Blut saugen? Insofern muss man Bremse, Gelse, Moskito und deren laufende Verwandte wie Laus und Wanze schon bewundern."

Dass im Gegenzug auch der Mensch geniale Ideen entwickelt, um sich vor den Plagegeistern zu schützen, scheint mir durchaus im Sinne derselben Evolution zu sein. Auch das Ringen um sein eigenes Revier scheint aus dieser Ecke zu kommen und schlägt halt manchmal zur einen und dann wieder zur anderen Seite aus. Wenn Fiebersumpfgebiete (oder auch die Karibik?)wohl als Königreich der Mücken gelten dürfen, bin ich sehr froh, dass mich in meinem Schlafzimmer heute Nacht nur mehr eine einzige verirrte Herbstgelse gestört hat.

Hier werde ich auch in Zukunft meinen Herrschaftsanspruch zumindest gegen die Mücken energisch durchsetzen, auch mit brutaler Gewalt, zumindest gegen jene Exemplare, die sich über die Grenzen meiner vorsorglich eingehängten Mückengitter hinwegsetzen :-(

In diesem Sinne, lieber Volkmar: Hau zu!

Das hat Gewissenspein von mir genommen.

 

Gestern gab’s die Katastrophe

Schon am Montag war’s passiert. Da habe ich meine Unschuld verloren.

„Du hast noch immer nichts kaputt gemacht“, hatte Bernd, mein Skipper, Eigner und Gastgeber schon nach einer Woche gestaunt. „Der W. hat gleich, wie er an Bord gekommen ist, mit seinem Koffer eine tiefe Schramme in die Glasscheibe vorne beim Salon gekratzt.“

Was war passiert am Montag? Bevor neue Farbe auf Alu gestrichen wird, muss es nicht nur kräftig angeschliffen, sondern auch fettfrei gemacht werden. Dazu hat mir Bernd Lösemittel und Verdünner gegeben. Damit behandle ich auch oberhalb der Salonfenster die blanken Alustellen. Ich spare nicht an Verdünnung, ich wasche so richtig. Die Verdünnung rinnt auch übers Glas. Das wische ich teils weg, teils rinnen die Tränen ungetrocknet übers Glas. Was niemand von uns bedachte – es ist das kein Alkali-Silikat-Glas, sondern irgendein Kunststoffglas. Versuche am Dienstag, alles weg zu machen, was da an Spuren des Lösemittels auf den Scheiben zu sehen ist, verschlimmern die Situation dramatisch. Ich hoffe auf eine gute Fee, Heinzelmännchen, den Gogolore und andere guten Geister. Doch nichts geschah bis Mittwoch früh.


Am Donnerstag schien mir dann der Zeitpunkt gekommen. „Bernd, ich habe meine Unschuld verloren“, eröffne ich meine Beichte recht locker. „Hast du gewusst, dass deine Fensterscheiben ein wenig empfindlich sind gegen Lösemittel?“ versuche ich Beweissicherung zu betreiben. Denn er hat mir schließlich die Verdünnung in die Hand gegeben. Er wusste, was ich damit vorhabe. Ich konnte nicht zwangsläufig wissen, dass das Kunststoffglas ist, das empfindlich reagiert auf Lösemittel.

„Mir ist da Verdünner an die Scheiben kommen. Auch wenn du innen Permanent-Vorhänge hast, durch die keiner hinausschaut – so schaut es doch nicht gut aus“, komme ich behutsam ans Eingemachte.

Noch weiß Bernd nicht, wie furchtbar die Scheiben ausschauen: Zu einem Viertel erblindet, mit Tränen beronnen, von meinen Erste-Hilfe-Versuchen grauslich verschmiert. Spinnenartige Risse an der Oberfläche. Hinterher ist alles klar, bloß die Scheiben bleiben trüb. Bernd hat nicht mit der Gelassenheit eines buddhistischen Mönches reagiert. Wir werden morgen sanieren. Wie wird sich das entwickeln?

 

Scheiben putzen

„Du kannst ja auch nichts dafür“, hat der Bernd gemeint. Ich stimme ihm einerseits zu, schließlich entlastet mich diese Sichtweise. Hätte ich als selbständiger Maler die Arbeit im Werkvertrag gemacht, dann sähe das rein juristisch freilich anders aus.

Dank perfekten Staulistensystems hat Bernd die Paste rasch zur Hand mit der er schon im Vorjahr den von W verursachten tiefen Kratzer entfernt hat. Nach ersten Versuchen kommen Hoffnung und gedämpfte Freude auf. Vorbehandeln mit Schleifpapier, denn die Krakeln sitzen tief. Das 400er ist zu grob. Das 800er bewährt sich. Solange schleifen bis alles nur noch gleichmäßig matt ist. Dann kommt Behandlung mit der Küchenpolierpaste. Das wird schon feiner. Dann Stepp 1 einer hier gekauften Paste. Anschließend Stepp 2. Zuletzt geht Bernd es mit seiner Vorjahres-Paste an. Ich kann es fast nicht glauben: Die Oberfläche des Kunststoffglases glänzt und spiegelt wieder wie neu. Ein ganz klein wellig bleibt sie. Das lässt sich nur von innen sehen, wenn man es weiß. Aber da sind sowieso immer die Vorhänge vor.
In mir drängt sich hämisch der Gedanke auf, dass die Fenster sehr gut trüb sein könnten, denn es hängen sowieso immer die kleinen Vorhänge vor. Da soll ja gar niemand durchschauen können. Aber es ist gegen die Ästhetik, ich weiß.

Nun stehe ich da, stundenlang. Ich habe es nicht mit dem statischen Meditieren – sitzen wie ein Yogi und nichts machen. Ich mach lieber was, wo ich nichts denken brauch und doch bei der Sache sein muss. Ich nenne das dynamische Meditation. Muss ja nicht gleich das Hu-hu-hu-hu sein. Nun habe ich reichlich Gelegenheit dazu. Die Backbordseite hat es nicht so arg erwischt. Mit der bin ich ziemlich klar. Die Steuerbordseite ist zur Hälfte saniert. Den Rest machen wir später mal. Jetzt wissen wir, dass es geht.

Nach dem Abendessen guckt Bernd so fragend, glaube ich zu sehen. „Wolltest du Einen ausgeben?“ frag ich ihn. Ich frage nicht nach, ob er das wirklich will. Ich behaupte grünes Licht in seinen Augen gesehen zu haben für einen Likör, zur Feier der gelungenen und gelingenden Sanierung.

 

Divali, das Neujahrsfest der Hindi

An die 50 Segler und Seglerinnen fahren in den Westen von Trinidad, etwa 40 km südlich von Port of Spain. Am Tempel der Hindu School des Dorfes Felicity erwarten uns drei Trommler.

Sie beginnen sogleich zu lärmen, als wir mit drei Kleinbussen in den Hof der Schule einbiegen. Die Rhythmen sind anders, als das Wum-wum aus den Lautsprecher-Boxen vieler afrikanischer Trinis. Wir legen die Schuhe ab und treten in den Tempel ein. Fotografieren erlaubt.

Links vom Eingang sind lebensgroße, menschenähnliche Gestalten. Es sind das die verschiedenen Manifestationen des einzigen Gottes. Gleich vorne Ganesh mit dem Elefantenkopf.

Für viele fromme Hindus ist das erste, was in ein neues Haus kommt, eine Statue des Ganesh. Diese segnet das Haus und verheißt Glück. Darum hat Ganesh wohl auch hier gleich neben dem Eingang seinen Platz.

In der Ecke dahinter eine Figur mit Affenkopf. Es ist Hanuman, die Verkörperung des hingebungsvollen Dieners, der grenzenlosen Loyalität und übermenschlichen Kraft. Es folgen 3 weitere Figuren, die ich nicht zuordnen kann.

Shiva und seine Gemahlin Parvati haben ihren Platz in der Mitte des Altarraumes.

Shiva, „der Gütige“ gilt im Shivaismus den Gläubigen als die wichtigste Manifestation des Höchsten. Er gilt aber auch als der Zerstörer und der, der Neues aufbaut. Parvati ist die weibliche Entsprechung. Gleich zur Linken von Parvati eine weibliche Figur, die auf einem Tiger oder einer Löwin sitzt.
Dann weitere Figuren. Auch die vermag ich nicht zuzuordnen.


Erst beim Gandhi kenn ich mich wieder aus.

Ich frage nach Shakti, jene Manifestation des Göttlichen, die im Neotantrismus für das Weibliche gemeinhin steht. Nein, hier ist sie nicht, sagt mir der Priester. Er führt mich in einen anderen Tempel gleich nebenan. Hier ist sie die zentrale Figur.

Sie verkörpere das weiblich-mütterliche Prinzip, verstehe ich den Priester. Weiter hinten im Raum steht Kali, eine der 9 anderen Manifestationen von Shakti. Kali ist schwarz und hat die Zunge heraushängen. Sie hat 16 Arme. Nein, Kali ist nicht der Tod, bemüht sich der Priester, es mir klar zu machen. Das Mütterliche gebärt Menschen - das ist Shakti. Wenn Menschen sterben, ist Kali da, die andere Manifestation des Mütterlichen. Sie nimmt die Menschen wieder entgegen, wenn sie sterben..

Ein anderer Priester begrüßt uns und erklärt uns mit ein paar Sätzen, wo wir sind. Er stellt uns die Figuren des Altarraumes mit Namen vor. Als eine Frau Näheres über den „Elefanten-Gott“ wissen will, winkt er ab: Da säßen wir morgen früh noch da.


Dann heißt der Reiseveranstalter die drei Trommler noch mal aufspielen. Die lärmen auch gleich flott los. Eine CD wird eingelegt und eine zierliche kleine Frau tanzt uns was vor dazu.

 

Divali, das Lichterfest der Hindi

Ich verlasse den Tempel der Felicity Hindu School und wandere die Hauptstraße entlang. Es beginnt zu dämmern. Die Menschen sind noch am Vorbereiten. Auf Gestellen aus Bambus werden Öllämpchen gestellt. Kleine Buben lassen erste Knallfrösche hochgehen. Alles ist aufgeräumt. Autos stehen schön nebeneinander. Je nach Branche sind bei manchen Geschäften Skulpturen aus Draht, Spots und Lichtschlangen aufgestellt: Ein Flugzeug beim Reisebüro, ein Auto beim Autohändler, eine Schlange bei der Apotheke.

Die Menschen sind feierlich gekleidet. Bedächtig stellen sie in den Vorgärten, auf Vorplätzen und in Durchfahrten Öllämpchen auf. In manchen Anwesen wird die gesamte Fläche gleichmäßig mit Lichtern bestückt. Manchmal lässt die Anordnung der Lichter auch Symbole oder Zeichen erkennen. Tische mit Tischtüchern darauf und Stühlen davor sind vorbereitet. Viele sitzen der Straße zugewandt auf die Passanten und Autos schauend. Diese werden immer mehr und schauen zu den Menschen und Lichtern auf Vorplätzen und in Gärten. Bekannte wechseln Worte mitsammen.

Es ist der vierte und letzte Tag von Divali. Es heißt (in Wikipedia), dass an diesem Tag die Schwestern ihre Brüder mit Lichtern segnen. Die Geschwister versprechen an diesem Tag, füreinander da zu sein. Segnungen ähnlicher Art innerhalb der Familie hat es an den Tagen vorher schon gegeben. Dieses Wahrnehmen und Feiern des Lichtes geht auf eine, uns fremde Geschichte zurück, die sich in der Götterwelt zugetragen hat. Hier muss ich neuerlich anmerken, es ist dem Hindu offenbar wichtig, dass es einen einzigen Gott gibt. Was wir oberflächlich Götter nennen, darunter versteht er unterschiedliche Manifestationen des eine und einzigen Gottes.

Es wird berichtet, dass Geschäftsleute zu Divali ihre Geschäftsbücher abschließen und neue beginnen. Divali ist immer zu Neumond, dem ersten nach einem bestimmten Kalendertag im Herbst. Es sei die dunkelste Nacht im Jahr (astronomisch nicht so richtig nachvollziehbar). Jedenfalls wird an diesem Tag offensichtlich die Dunkelheit wahrgenommen, man erfreut sich des Lichtes und hörbar auch des von Menschen produzierten Schalles: laute Musik aus manchen (Geschäfts-)Häusern, Trommeln, Knallfrösche bis hin zu Feuerwerksraketen. Ich finde darin Wesenszüge unserer Traditionen zu St. Martin, St. Lucia, Allerheiligen, Allerseelen, Weihnachten und Neujahr. Auch die Vermischung von Kommerz und Spiritualität scheint bei Divali ebenso da zu sein, wie bei Weihnachten.

In der Hauptstraße rollen die Autos im Schritttempo in beiden Richtungen – Lichterfest schauen. Ich bewege mich in die Nebenstraßen. Hier ist es ruhiger. Doch es gibt nicht weniger Lichter.


Ein Tempel hat seine Tore geöffnet. Ich frage einen der Tempelwächter, ob ich eintreten darf. Selbstverständlich habe ich Zustimmung. Ich ziehe mir die Sandalen aus und trete ein. Der Wächter – oder ist er ein Priester? – deutet auf zwei Spruchbänder links und rechts vom Eingang:

Was sind wirkliche Quellen der Kraft? Geduld, innere Kraft und Ausdauer (endurance).
Was sind wirkliche Freunde? Energie, Enthusiasmus, Ausdauer (perseverance).
Auf einige Frage gab es Antworten, die ich nicht so richtig gut fand. Daher belasse ich es mal damit. Der Priester sprach von den 10 Geboten der Christen – das hier sei die Entsprechung bei den Hindi.

Wir setzen uns vorne auf die Kante des erhöhten Altarbereiches und ich schau mich ein wenig um.


Der Priester erzählt mir von der Wiedergeburt und vom Karma. Es gehört heute fast zum Allgemeinwissen eines Mitteleuropäers. Aufhorchen hat mich lassen, als er vom Karma des Landes spricht, in dem du lebst, vom Karma deiner Familie und schließlich hat er das Bi-Karma erwähnt. Wenn du mit deinem Partner nicht klar kommst und dich einfach davon machen willst, dann kriegst du ihn im nächsten Leben wieder – oder? Und wenn du dich recht gut verstehst mit ihm, kriegst du ihn dann auch wieder?

Ich schlendere noch eine zeitlang in den Nebenstraßen und spür mich hinein in die Menschen, die da nun vor ihren Häusern sitzen, manche an gedeckten Tischen. Aus einem Tempel klingt Musik von Trommeln und gezupften Saiteninstrumenten.

Einen Blick werfe ich noch in das Innere. Es ist hell erleuchtet. Man tanzt.

Es ist fünf Minuten vor Abfahrt des letzten der drei Kleinbusse. Jetzt, wo ich beginne ins Fest einzutauchen, muss ich weggehen. Das ist eben der Nachteil, wenn man in der Gruppe reist. Die Zeitstruktur geben andere vor. Aber alleine hätte ich wohl schwerlich hierher gefunden.

 

Fahrt zum Asphaltsee


Zu Acht sitzen wir im Bus vom Jesse James, dem marinaansässigen Reiseveranstalter: Ein Seglerpaar aus Amerika, Helga und Rene, das Seglerpaar aus Bad Goisern, Annemarie und Helmut, die beiden Niederösterreicher, Bernd (mein Skipper) und ich. Es geht in den Südwesten der Insel Trinidad. Am Stand einer moslemisch betuchten Frau gibt es Doubels. Mit noch nie gesehener Flinkheit bereitet die Frau die Teigtaschelrn zu.

Dass wir dem See nahe sind, erkennt man an dem Asphalt im Gelände. Das Gelände ist ständig in Bewegung. Es fließt hin zum Trichter des Sees, aus dem ständig Asphalt entnommen wird, offenbar mehr, als von unten nachkommt.

„Ladies and Gentlemen“, wird Jesse feierlich, „now you did arrive the Pitche Lake”. Eine letzte Kuppe und wir blicken hinunter auf eine runde Fläche von etwa 600 m im Durchmesser, teils grauer Asphalt, teils Wasser, teils Gras und Gesträuch.

  Aus der Nähe ist der Asphalt manchmal rotbraun,

manchmal eine graugrüne Masse. Man kann kleinere Platten abheben.
Darunter ist es warm, eine zähe Masse ist zu sehen, ähnlich dem Hydroasphalt im Handel.

Von der Führerin hören wir, dass die Masse zu etwa je einem Drittel aus Asphalt, Mineralien und Wasser besteht.

Der Asphalt ist ständig in vertikaler Bewegung. Da tauchen mal fossile Holzstücke auf.
Das gibt zwar keine Buckel. Bloß die Ränder der ebenen Flächenabschnitte sinken nach unten. Zwischen zwei solchen Flächenstücken sind dann tiefe Rinnen, so wie zwischen zwei Gesäßbacken. Da kann das Wasser dann schon mal einen halben Meter tief sein. Diese Rinnen sind zwischen ein paar Dezimetern und einigen Metern breit.

Oder es sind überhaupt ausgedehntere Flächen mit Wasser bedeckt.

 An manchen Stellen fällt rotbraunes Eisen aus dem Wasser aus,

an anderen gelblicher Schwefel.
Der Asphalt wird schon seit langer Zeit abgebaut. Derzeit sind es 90 Tonnen am Tag. Der heftigere Abbau in vergangenen Jahren hat den Seespiegel zum Sinken gebracht. Nun sinken auch die Ränder nach und der Durchmesser schrumpft jährlich. Man rechnet damit, dass noch 400 Jahre weiterhin abgebaut werden kann.

Zu Mittag führt uns Jesse James in ein Roti-Lokal. Hier gibt es in große Teigfladen gehüllten Gemüsebrei mit wahlweise Huhn, Fisch, Ziege, Schwein u.a.

Die Heimreise führt mitten durch das Erdölgebiet. Hier sieht es aus wie in Schwechat: Riesige Tanks, hohe Schornsteine mit brennenden Fackeln obendrauf, Rohre und gewaltige Rohrtrassen, dazu Bohrtürme. Ich nicke ein.

Als ich aufwache stehen wir am Parkplatz beim „Hindu-Tempel im Wasser“.

Der hat seine besondere Geschichte: Es war zu englischer Kolonialzeit den Indern verwehrt gewesen, Tempel auf der Insel zu errichten. Ein damals junger Inder hat daraufhin einen ins Wasser gebaut, angeblich hat er nach der Arbeit mit dem Fahrrad Stein für Stein herangefahren und zu einem Tempel geschlichtet.

Den mussten die Kolonialherren ihren eigenen Vorschriften gemäß dulden. Inzwischen ist der Tempel neu gebaut worden und genießt die volle öffentliche Akzeptanz.

Ich empfand ihn als ein schönes Bauwerk an einem schönen Ort.

Ich hätte gerne noch länger hier verweilt – aber der Wagen der rollt. So ist das, wenn man in der Gruppe reist.

Wir halten neuerlich vor einem sehr großen, freistehenden Hindutempel, finanziert, geplant und gebaut von Indern aus Indien. Sehr schöne Außenarchitektur.

 

Hundert Meter daneben steht die riesige Gestalt eines Hanuman.

Hanuman, die Manifestation der göttlich unerschütterlichen Loyalität, wird immer mit einem sehr kräftigen Körper und einem Affenkopf dargestellt. Die Innenarchitektur bleibt uns verschlossen.

In Trinidad (nicht in Tobago) stammen 42 % der Menschen aus Indien. Sie sind nach der Emanzipation der Schwarzafrikaner hierher geholt worden. 25 % der Bevölkerung von Trinidad bekennt sich zum Hinduismus.

 

Der Motor läuft

Nicht sofort. Es gibt noch irgendein Problem mit dem Starter. Er kommt nicht auf Anhieb.

Der Motor bei der Orexis ist wirklich ganz verzwickt eingebaut. Wenn man die Holzplatte im Salon abnimmt dann schaut das so aus:


Wenn ich am Fußende meiner mittschiffs situierten Koje eine Klappe entferne, dann sieht das so aus:

Rechts im Bild immer der Arm von Bernd.
Bernd nimmt den Starter an die Leine:


Während ich versuche, den Starter in den Motorkasten zu senken, versucht Bernd, ihn an die richtige Stelle zu lenken. Das gelingt ihm, wenn er in der Eigenen Kabine die Matratzen lichtet und einen Deckel abnimmt.


Das war Hebammenarbeit!

Der Starter springt an. Ich habe den Wasserschlauch an jenes Loch gesetzt, wo sich die Kühlpumpe für gewöhnlich das Wasser. Die Dieselmaschine hustet ein wenig. Große Rauchwolke und er startet durch. Gewonnen!

 

Reparaturen sind angesagt –
Bernd biegt ab ins Krankenhaus – Sein Boot bleibt „on the shore“ – Kein Segeln mit Bernd

Ich bringe ich meinen Lap zur Reparatur. Der neue Schirm ist schon da - ich hoffe, die kriegen das hin und der Computer wird nicht ganz hin. Bernd hat mir zur Sicherheit den Inhalt der gesamten Festplatte auf einen externen Speicher kopiert. Reanimierung - falls nötig - sollte eigentlich gelingen. Drei Tage später hole ich den Laptop ab. Er ist nun TTD 2000,-- (€ 230,--) mehr wert, was sich am tadellosen Bildschirmbild zeigt.

Unangenehmer ist die Reparatur, die der Bernd an seinem Knie vornehmen lassen will. Vor 2 Stunden ist er vom Physiotherapeuten zurück gekommen: Sein Knie müsse dringend operiert werden. Er wird jetzt bald nach Deutschland fliegen. Ich werde nicht mit ihm segeln können!!!

Es hat mich nicht überrascht. Bernd hatte drei Wochen zuvor davon gesprochen, um eine Verlängerung seiner und meiner Aufenthaltsgenehmigung anzusuchen, weil es sein könnte, dass wir nicht fertig werden mit unseren Arbeiten. Mir ziiiiieht sich das verdächtig lang hin. Das hat mich wenig gefreut. „Für mich bitte nicht verlängern“, habe ich damals gemeldet, „denn ich werde zuvor nach Venezuela ausreisen. Wenn du fertig bist mit dem Boot kannst du mich anrufen. Dann sag ich dir ob ich wiederkomme oder nicht.“

Ich werde meine Malerarbeiten am Deck noch abschließen. Bernd will mir behilflich sein, dass ich wo anders mitsegeln kann. Er hat mich ja kennen gelernt als Zupacker für alles was es zuzupacken gibt an einem Schiff an Land. Und eine Entschädigung für meine Arbeiten am Boot hat er mir auch angeboten und später angewiesen.

zur Startseite

zu "Aktuelle Reise"