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Der Strom in der Straße von Gibraltar


Vorbemerkung

Die folgende Darstellung habe ich aus allgemein zugänglichen Informationen und mit meinem Sachverstand zusammengestellt. Ich habe versucht, es übersichtlich darzustellen. Auf die bei Seglern allgemein bekannten Ursachen der Gezeit (Tide) bin ich der Vollständigkeit halber eingegangen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich mich verständlich ausgedrückt habe und dass keine schweren Fehler passiert sind. Vor Haftung irgendwelcher Art jedoch schließe ich mich aus.

Die Gegebenheiten

In der Straße von Gibraltar hat es, wie in fast allen Meeresstraßen, Strömung. Segler sagen auch Strom dazu. Richtung, Stärke, zeitlicher und örtlicher Wechsel des Stromes in der Straße von Gibraltar haben grundsätzlich folgende 5 Ursachen:

  1. Die Gezeit
  2. Der Wind
  3. Die Tatsache, dass im MM mehr Wasser verdunstet als von den Flüssen zugeführt wird.
  4. Unterschiedliche Dichte, hervorgerufen durch unterschiedlichen Salzgehalt und durch unterschiedliche Temperatur des Wassers von MM und Atlantik
  5. Gestalt des Ufers

Die meisten der Ursachen wechseln, manche regelmäßig, andere unregelmäßig oder unmerklich. Sie überlagern sich und erzeugen den aktuellen, zeitlich und örtlich ständig wechselnden Strom.

  1. Die Gezeit, auch die Tide genannt, wird bekanntlich von Mond und Sonne hervorgerufen. Sie folgt einem Rhythmus von etwas weniger als 13 Stunden. Die Maxima und Minima der Gezeit wechseln periodisch mit der Mondphase.

    Auf der Erdoberfläche sind zeitlich unterschiedliche Anziehungskräfte und Fliehkräfte wirksam. Der Gang der beiden einflussreichsten Wandelgestirne Mond und Sonne ruft die deutlich sichtbaren Erscheinungen hervor.

    Dort, wo der Mond über der Erde im Zenit steht, ist er der Erdoberfläche am nächsten. Seine Anziehungskraft auf alle Teile der Erde ist somit dort am größten. Daher „häuft“ sich ungefähr dort das Wasser in freien Gewässern, je größer deren Fläche, umso mehr.

    Mond und Erde drehen sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt. Er liegt etwas außerhalb des (geometrischen) Erdmittelpunktes, dem Mond zugewandt. Dies hat zur Folge, dass die Umfangsgeschwindigkeit der Erde auf der dem Mond abgewandten Seite am höchsten ist. Daher ist dort auch die Fliehkraft am höchsten, was auch dort eine „Anhäufung“ des Wassers in freien Gewässern zur Folge hat.

    Diese beiden Wasserberge wandern auf der Wasseroberfläche in genau der Geschwindigkeit, mit der der Mond sich scheinbar um die Erde dreht. Immer im Abstand von etwas weniger als 13 Stunden passiert daher einer der beiden Wasserberge einen bestimmten Ort auf der Oberfläche freier Gewässer. Die „Wasserberge und -täler“ sind Niveau-Unterschiede. Ihr Entstehen verursacht Strömungen, ihr Vergehen hat Strömung zur Folge. Das sind die Gezeitenströme. Begrenzungen der Gewässer mit Landmassen in der Tiefe und Weite führen zu Hemmung und Reflexion der Strömung und in der Folge zu Verringerung und Vermehrung der Höhen und Tiefen der Wasserberge und –täler, sowie zu Verzögerungen gegenüber dem Stand des Mondes. In Buchten und Halb-Binnenmeeren kann es zu Eigenschwingungen der Wassermassen kommen und im Zusammenhang damit zu kompliziert berechenbaren Strömungen.

    Der Einfluss der Sonne auf die Gezeit folgt grundsätzlich den gleichen Gesetzen wie beim Mond, ist aber bei der Sonne – trotz deren höherer Masse – deutlich geringer, denn die sie ist sehr viel weiter weg. Beide Einflüsse überlagern sich in der Weise, dass wir bei Vollmond und bei Neumond höhere Gezeiten beobachten als bei Halbmond.

    Das MM ist viel kleiner als der angrenzende Atlantik. Daher ist die Gezeit im MM wesentlich schwächer ausgeprägt als im Atlantik. Bei Hochwasser drängt Wasser ins MM (Flutstrom), bei Niedrigwasser zieht Wasser aus dem MM in den Atlantik (Ebbstrom).

  2. Der Wind erteilt einen Teil seiner Bewegungsenergie dem Wasser. Es kommt zum oberflächlichen Windstrom des Wassers in der Richtung des Windes, das heißt, (der in der Straße von Gibraltar vorherrschende) Westwind erzeugt ostsetzenden Strom.

    Dieser Windstrom variiert je nach Stärke und Richtung des Windes. Bei 6 Bft Windstärke, andere Einflüsse ausgeschlossen, ist mit 0,6 Knoten Windstrom zu rechnen.
  3. Im MM verdunstet mehr Wasser in die Luft als von Flüssen zuströmt.
  4. Das MM hat höheren Salzgehalt als der angrenzende Atlantik. Das höhere Gewicht des salzigeren MM-Wassers hat zur Folge, dass der Druck mit zunehmender Tiefe stärker zunimmt als im angrenzenden, leichteren Atlantikwasser. Das führt in der Tiefe zu einem höheren Druck des MM und in der Folge zu einem westsetzenden Strom in der Tiefe.

    Die Temperatur im MM ändert sich mit zunehmender Tiefe anders als im angrenzenden Atlantik. Das führt zu sehr komplexen Strömungsbildern, Temperatur- und Salzgehaltzustände noch weit außerhalb der Straße von Gibraltar. Grundsätzlich hat auch der Temperaturunterschied Einfluss auf den Druckunterschied in der Tiefe. Der Druckunterschied infolge ungleichen Salzgehaltes überwiegt. Interessante Infos darüber auf:
    http://nat-meer.geomar.de/OzeanOnline/mittmeer/mittmeer.htm
  5. Die Gestalt eines Ufers kann Neerstrom erzeugen. In Flüssen, wo das Wasser immer in der gleichen Richtung fließt, kennt man dafür die Bezeichnung Kehrwasser: Hinter Landvorsprüngen kehrt sich die Strömung um. Das ist grundsätzlich einleuchtend, wenngleich im Detail sehr komplex und schwer berechenbar. In der Straße von Gibraltar gibt es in der Mitte den Hauptstrom. Nahe am nördlichen wie am südlichen Ufer sind Neerströme zu beobachten. Sie haben um einige Stunden verschobene Phasen.

Was daraus entsteht

Das durch den Dichteunterschied am Meeresgrund aus dem MM abfließende Wasser, zusammen mit der höheren Verdunstung gegenüber dem von Flüssen einfließenden Wassermengen, vermindert bzw. vermehrt vom ostsetzenden bzw. westsetzenden Windstrom, senkt den Meeresspiegel im MM. Dieser Niveau-Unterschied bewirkt das Einströmen von Atlantikwasser zusätzlich zum (im Durchschnitt viel geringerem) Windstrom. Das Gleichgewicht zwischen Wasserdefizit im MM, infolge Dichteunterschied plus Verdunstungsdefizit auf der einen Seite und dem Nachströmen aus dem Atlantik ist gegeben, wenn der Wasserspiegel des MM – wie zu beobachten – um 1,4 m tiefer liegt als der des Atlantiks. Dieses Gefälle und ruft einen ostsetzenden, an der Oberfläche zu beobachtenden Ausgleichsstrom hervor. Der beständige Ausgleichsstrom wird mit 1 bis 2 Knoten beziffert, wobei die unterschiedliche Breite der Straße einflussgebend ist. Überlagert wird dieser stetige Ausgleichstrom vom Tidenstrom, hervorgerufen durch die unterschiedliche Tidenhöhe in MM und Atlantik. Das bewirkt den Hauptstrom. Durch die Gestalt des Ufers kommt es zur Ausbildung der Neerströme in Ufernähe.

Der Hauptstrom kentert etwa zum Zeitpunkt des tiefsten Niedrigwassers vor Gibraltar und beginnt dann nach West zu setzen. Etwa 6 Stunden später erreicht die Tide den Höchststand. Etwa zu diesem Zeitpunkt kentert der Tidenstrom neuerlich, nun ostsetzend.

Der nördliche Neerstrom (das Kehrwasser nahe dem europäischen Ufer) kentert 3 Stunden nach Hochwasser westsetzend und 3 Stunden vor Hochwasser ostsetzend.

Für den südlichen Neerstrom (nahe dem afrikanischen Ufer) gibt es in der von mir eingesehenen Literatur unterschiedliche Angaben. Die eine lautet: Der Neerstrom setzt bei Niedrigwasser westsetzend ein, kentert 2 Stunden später und bleibt dann 6 Stunden lang ostsetzend. Nach anderer Quelle (http://www.skipperguide.de/wiki/Gibraltar): Westsetzend 2 Stunden nach Hochwasser bis 4 Stunden vor dem nächsten Hochwasser (also 6 Stunden lang), ostsetzend 4 Stunden vor Hochwasser bis 2 Stunden nach Hochwasser

Der Gezeitenstrom für sich alleine würde zu Zeiten der Nipptide im Maximum 1,5 Knoten betragen, zu Springtide-Zeiten im Maximum 3 Knoten. In diesen Angaben sind die Einflüsse des Windes nicht berücksichtigt. Man kann daraus schließen, dass es zu Zeiten von Springtide durchaus sein kann, dass man keinen westsetzenden Hauptstrom vorfindet.

Hilfreiche Seiten im Web zur Strömungsberechnung: http://www.palstek.de/wp-content/plugins/downloads-manager/upload/Stoemungsberechnung_Gibraltar.pdf

In früheren Zeiten

Mit Rah-Segel, war das Befahren der Straße von Gibraltar keine leichte Sache. Es wird berichtet, dass Seefahrer der Antike mit Leinen und Netzen den westsetzenden Grundstrom zu nutzen wussten.

Vor rund 6 Millionen Jahren gab es eine Phase in der das MM ausgetrocknet war. Bis eines Tages (vor 5,3 Millionen Jahren) doch Wasser vom Atlantik in das tiefere trockene Becken des heutigen MM schwappten. Es vertiefte sich das Gerinne und es kam zum Durchbruch. Man schätzt, dass es ein paar Monaten bis maximal 2 Jahren gedauert hat, bis die hereinströmenden Wassermassen das MM neu aufgefüllt hatten. (siehe auch http://www.fnz.at/fnz/forum/phpBB2/viewtopic.php?t=4698).

Die Straße von Gibraltar ist auch heute, mit seinen 300 Metern an der seichtesten Stelle nicht sehr tief. (Entnommen: http://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fe_von_Gibraltar )

Und wie wir das machen

Das war am 06. September 2008. Wie ich am Tag vorher gemerkt habe, dass niemand von uns sagen kann, zu welcher Uhrzeit wir welche Verhältnisse vorfinden werden, dränge ich darauf, dass wir uns im Internet informieren. Zugleich bitte ich meine Freundin Christa daheim um Hilfestellung. Unser Skipper – es wundert mich – hat keinerlei Informationen vorbereitet. Er will sich vor Ort beim Hafenkapitän in Gibraltar schlau machen, sagt er.

Skipper Heinz und mein Freund und Mitsegler Erwin sind am nächsten Tag beim Hafenkapitän. Er hat eine Kopie der Gezeitentafel für sie bereit. Er empfiehlt schon 2 Sunden vor Niedrigwasser auszulaufen. Ich vermute, dass es dabei ein Missverständnis mit UTC, Gibraltar-Ortszeit und unserer MESZ gegeben hat. Das sind weitere 3 Stunden Differenz. Der Heinz startet zur Sicherheit noch 1 Stunde früher – macht 6 Stunden. Also genau verkehrt.

Ich teile meine anderslautenden Erkenntnisse mit. Aber auf mich hört ja keiner.

Die Gezeitentafel sagt an diesem Samstag, dem 06.09.2008 das erste Hochwasser um 06:56 bezogen auf UTC-1 an. Umgerechnet auf MESZ (= UTC+2) heißt das 09:56. Und es heißt, dass Niedrigwasser um ca. 16:00 sein wird. Da wird der Hauptstrom nach West kentern, in die von uns gewünschte Richtung, unter der Annahme, dass es keinen Windstrom gibt.

Aber auf mich hört noch immer keiner.

Um 0900 MESZ laufen wir aus. Wir haben Wind aus West, kreuzen also. Um 1100 sind wir im Hauptsrom. Hart am Wind queren wir die Srasse im rechten Winkel zur Verkehrstrennungszone. Gibraltar wird kleiner. Nach dem Wenden, am GPS abzulesen, fahren wir die gleiche Spur zurück! Der schöne Felsen von Gibralatar kommt wieder näher. Dem Stromdreieck entnehme ich: 3 Knoten Strom ostsetzend. Ich empfehle, das Nordufer aufzusuchen. Hier setze der Neerstrom immerhin um 3 Stunden früher nach West. Und ausserdem nähme ich an, er sei nicht so stark wie der Hauptsrom.

Diesmal hört man auf mich.

Ich lass mir das Ruder geben. Tatsächlich machen wir Höhe, je näher dem Ufer, umso mehr. Nahe dem Ufer heisst es wenden. Wir fahren wieder viel zu weit hinaus

Es hört ja schon wieder keinerauf mich.

Schliesslich wird doch gewendet. Das GPS zeigt eine Rückwärts-Schleife, die wir erst wieder in Ufernähe kreuzen. Hier geht es dann wieder weit westwärts. Und noch einmal das gleiche Spiel. Ermutigt durch die strömenden Tatsachen, habe ich längst verkündet, gestützt auf meine aktuellen Beobachtungen und die grundsätzlichen Infos von Christa und Internet, der Hauptstrom werde erst um 1600 kentern. Tatsächlich kentert er so gegen 1645. Da war offenbar auch der Wind noch im Spiel. Es ist nun offensichtlich: Wir sind genau zum gegenteiligen Zeitpunkt losgefahren. Der Erwin beginnt sich auf meine Seite zu schlagen, heimlich. Was der Skipper denkt, weiß niemand, außer ihm. Er spricht sicherheitshalber sowieso fast gar nichts. Und wenn er spricht, dann kein Deutsch, sondern ein unverständliches Schwäbisch. Am Abend – der Strom hat längst gekentert – ziehen wir an Tanger vorbei.

Mir will es nicht schmecken, dass ich zwar sehr bald gewusst hatte, wie das strömt in der Straße von Gibraltar im Allgemeinen, und an unserem Tag im Besonderen. Mit meinen Diskussionsbeiträgen ist keiner so richtig froh geworden. Weder der Heinz, noch der Erwin, noch ich. Die beiden hatten ihre Informationen von einer Amtsperson erhalten. Sie haben sich lange dagegen gewehrt, diese zu bezweifeln. Letztlich war es zu keinem Zeitpunkt wirklich erheblich gewesen, wie wir uns da durch die Straße von Gibraltar wurschtln.

Warum habe ich dem Verwundern und Treiben des Skippers nicht einfach zugeschaut, so wie man einem Naturereignis zuschaut, ohne zu bewerten? Oder einer Landschildkröte, die da durch den Sand krabbelt. Warum habe ich mich da so wichtig gemacht? Und vor allem: Wie gehe ich es künftig an, hier mich so einzubringen, dass es allen gut geht dabei? Schließlich bin ich erst am Beginn meiner Reise.



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